Das Thermofenster: Unzulässige Abschalteinrichtung im Abgasskandal
Im Rahmen des Abgasskandals sind seit 2015 nach und nach verschiedene Methoden aufgeflogen, mit denen Autobauer die Abgaswerte ihrer Dieselfahrzeuge manipuliert haben. Darunter eine besonders prominente: das sogenannte Thermofenster.
Derartige Abschalteinrichtungen bewirken, dass die erforderlichen Abgastests während der Erstzulassung eines neuen Fahrzeugmodells (Typgenehmigungsverfahren) bestanden werden. Denn sie erkennen zum Beispiel, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet. Und verbessern genau dann – bzw. nur dann – die Abgasreinigung innerhalb des Motors, sodass weniger giftiges Stickstoffdioxid ausgestoßen wird. Beim Thermofenster handelt es sich um eine Abschalteinrichtung, die bewirkt, dass die erforderliche Abgasreinigung lediglich in einem ganz bestimmten Temperaturbereich aktiv ist. Zufälligerweise genau in dem Temperaturbereich, der in der Regel während des Abgastests auf dem Prüfstand herrscht (circa 20° Celsius). Liegt die Außentemperatur jedoch darunter oder darüber, wird die Abgasreinigung wieder gedrosselt bzw. gänzlich abgeschaltet (daher der Name „Abschalt“einrichtung) und die Emissionen überschreiten die zulässige Maximalgrenze.

Eingebaut ist dieses Thermofenster laut Experten in Millionen Autos auf Deutschlands Straßen – insbesondere in den Dieselfahrzeugen von Daimler. Angeblich aus Gründen des Motorschutzes. Doch kann diese eher zweifelhafte Begründung der Autobauer tatsächlich rechtfertigen, dass Millionen von Autos tagtäglich deutlich mehr giftige Abgase ausstoßen, als erlaubt ist? Und dass dadurch die Luft verpestet und Mensch und Natur gefährdet werden? Wie das Kraftfahrt-Bundesamt und deutsche und europäische Gerichte das Thermofenster bewerten, wie es genau funktioniert und wie Sie sich gegen die Abgasmanipulation wehren können, erklären wir Ihnen nachfolgend.
Thermofenster in Dieselfahrzeugen: Wie funktionieren sie?
Der Begriff „Thermofenster“ klingt erst einmal sehr harmlos. Doch tatsächlich wird damit eine perfide Abschalteinrichtung zur Manipulation der Abgaswerte bezeichnet. Es handelt sich um einen Teil der Motorsteuerung, der die Abgasreinigung in einem bestimmten Temperaturbereich verbessert. Dadurch können die vorgeschriebenen Emissions-Grenzwerte beispielsweise zwischen 15 und 23 Grad Celsius Außentemperatur eingehalten werden. Unter 15 Grad Celsius oder über 23 Grad Celsius allerdings nicht, denn dann ist die Abgasreinigung gedrosselt bzw. ausgeschaltet.
Um eine „saubere“ Abgasreinigung zu erreichen, werden die Abgase in Dieselfahrzeugen normalerweise nach der Verbrennung in den Motor zurückgeführt und dort erneut verbrannt. Dadurch verringert sich die Menge der umwelt- und gesundheitsschädlichen Emissionen des Fahrzeugs deutlich. Ist allerdings ein Thermofenster eingebaut, werden die Abgase bei bestimmten Außentemperaturen nicht erneut verbrannt. Das Auto setzt die Schadstoffe nahezu ungefiltert frei. Die Abgasreinigung wird also gedrosselt und das Fahrzeug ist dadurch deutlich dreckiger als zuvor und überschreitet in den meisten Fällen die maximal zulässigen Emissionswerte.
Die Temperaturspanne von 15 bis 23 Grad ist dabei kein Zufall. Die Temperatur auf den Prüfständen in den Werkstätten, wo die Abgastests durchgeführt werden, beträgt in der Regel um die 20 Grad Celsius. Die Abgasreinigung ist demnach während der Prüfsituation automatisch eingeschaltet.
Die Durchschnittstemperatur in Deutschland liegt allerdings die meiste Zeit des Jahres deutlich unter 15 Grad, durchschnittlich neun Monate im Jahr. Konsequenz: Die Abgasreinigung ist im realen Straßenbetrieb die meiste Zeit gar nicht aktiv. Dadurch stößt das Auto sehr viel mehr Schadstoffe aus, als vom Hersteller angegeben. Dieselfahrzeuge mit Thermofenstern sind demnach eine große Mogelpackung – Autokäufer werden von den Autobauern bewusst getäuscht.
Wieso bauen Daimler & Co Thermofenster ein?
Die Autobauer begründen den Einsatz von Thermofenstern mit dem Motorschutz. Durch die Rückführung der Emissionen im Rahmen des Reinigungsprozesses würden Rußpartikel den Motor beschädigen. Wenn die Dieselabgase mithilfe von Harnstoff, beispielsweise Adblue, von schädlichen Stickoxiden befreit werden, entsteht eine Art Schleim, der dann zur Versottung des Motors führen kann. Um das zu vermeiden, werden die Stickoxide mittels Thermofenster also nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs herausgefiltert. Dadurch bleiben die Bauteile des Motors intakt, die Stickoxide aber auch leider in den Abgasen.
Ist der Einsatz von Thermofenstern daher tatsächlich zu rechtfertigen? Laut Experten gibt es mittlerweile längst andere technische Wege, um den Motor vor der sogenannten Versottung zu schützen. Die Alternativen wären für die Autobauer aber vermutlich teurer als der Einsatz von Thermofenstern. Daher vermuten Experten hinter der Drosslung der Abgasreinigung rein finanzielle Gründe. Doch damit wird nicht nur mit der Umwelt, sondern auch mit der Gesundheit der Menschen gespielt. Denn: Stickoxide sind nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern auch für den Menschen. Sie verursachen schwere Atemwegserkrankungen wie Asthma, belasten das Herz-Kreislauf-System und führen in Deutschland zu rund 10.000 frühzeitigen Todesfällen jedes Jahr. Gute Gründe also, um Stickoxide möglichst aus unserer Luft zu filtern.
Video zum Thermofenster: Das Experteninterview mit Decker & Böse:Von Fahrverbot bis Wertverlust – die Folgen für Verbraucher
Das Problem mit den Thermofenstern ist dabei nicht nur die Verunreinigung der Luft als solche. Dieselfahrzeuge wirken dadurch sauberer als sie es tatsächlich sind. Sie verpesten weiterhin Deutschlands Städte und Ballungsräume. Durch die hohe Schadstoffbelastung in der Luft verhängen mittlerweile immer mehr Städte in ganz Deutschland Fahrverbote für bestimmte Diesel- und Benzinerfahrzeuge. Davon betroffen sind nicht nur Euro 4- und Euro 5-Autos, sondern vermutlich demnächst auch Fahrzeuge mit der Schadstoffklasse Euro 6. Für viele Autobesitzer gilt dann nicht nur ein Fahrverbot in bestimmten Städten oder Straßen, sondern sie erleiden auch einen enormen Wertverlust des Dieselfahrzeugs. Autofahrer, die kein Software-Update durchführen lassen, riskieren außerdem eine Zwangsstillegung durch die Zulassungsbehörde. Doch auch die Software-Updates der Autohersteller sind in Verruf geraten und sollen zum einen den Motor schädigen und zum anderen den Abgasbetrug sogar fortführen anstatt ihn zu beseitigen.
Wie steht das KBA zu Thermofenstern?
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) spielt im Abgasskandal eine große Rolle. Es ordnet bei bestimmten Verstößen oder unzulässigen Praktiken Rückrufe der betroffenen Fahrzeuge an. Im Abgasskandal hat das KBA bereits Millionen Fahrzeuge zurückrufen lassen, da unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut wurden. Das Thermofenster sieht die Behörde allerdings derzeit noch als zulässig an. Doch urteilt die Behörde, die dem Verkehrsminister unterstellt ist, tatsächlich objektiv?
Das KBA hatte sich bereits in der Vergangenheit auf die Seite der Autobauer geschlagen und soll laut Aussage einiger Autobauer sogar bewusst illegale Abschalteinrichtungen erlaubt haben. Abgastests sowie die Kommunikation zwischen der Automobilindustrie und dem KBA sind jedoch nach wie vor nicht veröffentlicht worden, und das, obwohl das KBA als öffentliche Behörde durch öffentliche Gelder finanziert wird. Doch nach und nach kommen wohl auch deutsche Gerichte zu dem Urteil, dass die Mauschelei zwischen KBA und Autobauern genauer unter die Lupe genommen werden sollte. Erst im Januar 2021 wies der BGH in einer richtungsweisenden Entscheidung einen Thermofenster-Fall an die Vorinstanz, das OLG Köln, zurück. Begründung: Das Gericht sei den Kläger-Hinweisen zu falschen Angaben im Typgenehmigungsverfahren beim KBA nicht ausreichend nachgegangen (s. unten).
Wie äußern sich die Gerichte zum Thermofenster?
Seit Dezember 2020 mehren sich die verbraucherfreundlichen Urteile zum Thermofenster. Die Chancen für Dieselbesitzer auf Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung sind dadurch besser denn je.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster, 17.12.2020 (C-693/18)
Der Europäische Gerichtshof erklärte in seinem Urteil vom Dezember 2020 Abschalteinrichtungen wie das Thermofenster in Dieselmotoren für illegal, wenn sie sich negativ auf die Abgasreinigung auswirkten. Thermofenster seien nur dann zulässig, wenn sie vor einer konkreten Motorschädigung mit Folge einer Gefahr beim Fahren schützten.
Erster Beschluss des Bundesgerichtshofs zum Thermofenster, 19.01.2021 (VI ZR 433/19)
Im seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 äußerte sich der BGH erstmalig zu den Thermofenstern in Daimlerfahrzeugen. Zwar stellten die Karlsruher Richter fest, dass eine sittenwidrige Schädigung in diesem konkreten Fall nicht nachgewiesen werden könne, diese sei aber durchaus vorstellbar. Zudem erklärte der BGH, dass Gerichte die Äußerungen der Kläger zu den Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren stärker berücksichtigen müssen. Nun müssen Landgerichte und Oberlandesgerichte dem von Klägern und Anwälten geäußerten Verdacht nachgehen, dass die Daimler AG dem Kraftfahrt-Bundesamt gegenüber die genauen Funktionen des Thermofensters verschleiert hat.
Erwartetes Urteil des Bundesgerichtshofs zum Thermofenster, 09.03.2021 (VI ZR 813/20)
Mit großer Spannung erwartet wird im Zusammenhang mit dem Thermofenster auch der 9. März 2021: Der Bundesgerichtshof (BGH) wird an diesem Tag voraussichtlich ein Grundsatzurteil zum Einbau von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen bei Mercedes verkünden. Dann wird sich zeigen, ob die höchstrichterliche Instanz in Deutschland die Verwendung von Thermofenstern als sittenwidrige Schädigung einstuft. Dies würde eine weitere riesige Klagewelle gegen Daimler zur Folge haben und die Rechte von betrogenen Dieselbesitzern, die somit auf deutlich einfacherem Wege Schadensersatz einklagen könnten, enorm stärken.
Ist in meinem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut?
Seitdem der Abgasskandal bei VW 2015 aufgedeckt wurde, konnten illegale Abschalteinrichtungen bei den meisten Herstellern nachgewiesen werden. Dabei wurde auch das Thermofenster bei verschiedenen Autobauern entdeckt.
VW
Bei dem größten deutschen Autobauer Volkswagen wurde neben der Prüfstanderkennung auch eine Manipulation der Motoren durch den Einsatz von Thermofenstern erkannt. Obwohl die Abgaswerte der Dieselfahrzeuge hauptsächlich manipuliert wurden, indem die Autos den Prüfstand erkannt und die Abgasreinigung daran angepasst hatten, wurden Thermofenster auch in den oft verbauten Motoren EA 189 und EA 288 bzw. in den Software-Updates eingesetzt. Dabei handelt es sich nicht nur um die meisten Modellen der Marke VW, sondern auch um die der Töchter Skoda, Seat, Audi und Porsche.
Daimler
Insbesondere Daimler mit seinen vielen Mercedesmodellen rückte beim Thema Thermofenster in den Fokus der Öffentlichkeit. In den Motoren OM 642, OM 651, OM 622 und OM 626 bzw. in allen Euro 5 und Euro 6 Dieselmotoren von Daimler wurde bereits der Einsatz von Thermofenstern festgestellt.
Opel
Bereits über 100.000 Fahrzeuge des Herstellers Opel wurden im Rahmen des Dieselskandals vom KBA zurückgerufen. Darunter befanden sich die Modelle Cascada, Insignia und Zafira. Der Rüsselsheimer Autobauer wehrte sich zwar rechtlich gegen die Rückrufe, allerdings wurde das Verfahren laut Opel noch immer nicht abgeschlossen. Mit dem Urteil des EuGHs wird sich der Fahrzeughersteller allerdings nun der Rechtsprechung beugen müssen.
BMW
Bei dem bayerischen Autobauer BMW wurden ebenfalls in den meisten Dieselfahrzeugen Thermofenster festgestellt. Besonders betroffen sind die Motorreihen N47, N57 und B47 mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6. Das Landgericht Düsseldorf hielt beispielsweise in einem Urteil fest, dass in einem X1 eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden war. (Aktenzeichen: 7 O 67/19)
Wollen Sie wissen, ob auch Ihr Fahrzeug betroffen ist? Auf unserer Themenseite „Betroffene Fahrzeuge im Abgasskandal“ finden Sie die betroffenen Modelle aller Hersteller.
Gute Erfolgsaussichten für betrogene Dieselfahrer
Die Auffassung des EuGHs in Sachen Thermofenster dürfte sich nun merklich auch in Deutschland zeigen. Nicht nur, dass viele deutsche Gerichte die Auffassung teilen, auch das KBA könnte nun genötigt sein, großflächig weitere Rückrufe für Dieselfahrzeuge mit Thermofenster anzuordnen. Die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzklage gegen die Autobauer stehen bereits seit dem EuGH-Urteil besser denn je. Und erst Anfang dieses Jahres lehnte das KBA einen Widerspruch des Autobauers Daimler gegen einen amtlichen Rückruf von mehreren hunderttausenden Mercedesfahrzeugen ab.
Experten gehen davon aus, dass wir bisher erst die Spitze des Eisbergs im Abgasskandal gesehen haben.
Was können betrogene Dieselfahrer tun?
Betroffene Autobesitzer können Schadensersatz für ihr manipuliertes Auto einklagen. In einer kostenlosen Erstprüfung kann zunächst einmal festgestellt werden, ob das Fahrzeug betroffen ist und ein Thermofenster verbaut wurde. Ist dies der Fall, kann der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung vom Hersteller gefordert werden. Für Inhaber einer Rechtsschutzversicherung ist dies völlig ohne Kostenrisiko möglich.
Für Verbraucher ohne Rechtsschutzversicherung bieten wir die Möglichkeit der Prozesskostenfinanzierung. Die Prozesskosten werden dabei von einem Prozessfinanzierer übernommen. Dieser erhält lediglich im Erfolgsfall einen kleinen Anteil der Entschädigung. Sollte der Prozess wider Erwarten nicht gewonnen werden, so übernimmt der Prozessfinanzierer alle Kosten. Für Sie entsteht dadurch keinerlei Kostenrisiko.
Zusatzchance für finanzierte Fahrzeuge:
Wer sein Auto finanziert oder geleast hat, sollte ebenfalls die Möglichkeit des Widerrufs prüfen lassen. Wer fehlerhafte Widerrufsbelehrungen in seinen Vertragsunterlagen vorfindet, kann diesen auch Jahre später noch rückabwickeln und erhält somit alle Raten plus Zinsen zurück. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Themenseite Widerruf Autokredit und Leasingvertrag.
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Wir sind eine der führenden Verbraucherrechtskanzleien in ganz Deutschland mit jahrelanger Erfahrung im Abgasskandal. Mit unserer Erfahrung aus mehr als 10.000 Fällen sind wir hoch spezialisiert und kennen die Tricks der Autohersteller. Der Erfolg unserer Mandanten ist unser oberstes Ziel. Dafür arbeiten wir nicht nur auf fachlich höchstem Niveau, sondern auch mit maximaler Effizienz durch modernste Technik. Um die Interessen unserer Mandanten bestmöglich vertreten zu können, ist unserer Ersteinschätzung daher immer kostenlos. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage.
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